Nora Ehrlich Farbgefüge-Farbgegenden

Zum ersten Mal wird im Frühjahr 2005 auch in den oberen Räumen des Nordflügels unseres Ausstellungshauses „Kunst aus Nordrhein-Westfalen" in der ehemaligen Reichsabtei Aachen Kornelimünster eine Ausstellung präsentiert.

„Farbgefüge - Farbgegenden" hat Nora Ehrlich die Zusammenstellung ihrer neueren Arbeiten betitelt. Nora Ehrlich ist in den 90er Jahren intensiv vom damaligen Ministerium für Stadtentwicklung, Kultur und Sport des Landes Nordrhein-Westfalen durch den Ankauf von sechs, z. T. großformatigen, aktuellen Gemälden gefördert worden, nachdem sie bereits in den 80er Jahren das von der Landesregierung vergebene Ringenberg-Stipendium erhalten hatte.
Für die Düsseldorfer Malerin steht zwar schon immer die Farbe im Zentrum ihres künstlerischen Wollens, dennoch fällt es schwer, ihre Werke in den Bereich der sogenannten Farbmalerei einzuordnen. Sie verweigert sich nämlich jedem Trend im Sinne von mainstream, also auch der facettenreichen, heutigen Farbmalerei, die die Farbe an sich, ihre meditative Wirkung und Maigeste vollkommen losgelöst von der realen Welt und jeder lnhaltlichkeit nutzt. Nora Ehrlich pflegt dagegen die traditionelle Form des Tafelbildes auf Leinwand. Ihre abstrakten Bildweiten sind inspiriert von Landschaftseindrücken, von Jahreszeiten und deren atmosphärischem Licht.

Die unhierarchischen pastosen Bildstrukturen ihrer Ölgemälde drängen über den rahmenlosen Bildrand hinaus, sozusagen in den realen Raum, wie es seit der informellen Malerei häufig praktiziert wurde. Die in den früheren Jahren eher horizontal ruhig fließenden angeordneten Form- und Farbgefüge sind in den letzten Jahren bewegter geworden und erreichen in den jüngeren Bildern z. T. hohe Dynamik.
So verlaufen die Bewegungen im Farbauftrag des Gemäldes „einige Farben" aus 2005 (s. Katalog Seite 21) in unterschiedliche Richtungen, die Überlagerungseffekte der Farben erscheinen transparenter. Einen Blickfang am rechten Bildrand, knapp über der Mitte des Gemäldes, bildet der pfeilförmig in die Mitte des Bildes weisende Pinselschwung , der die große gelbe Fläche frei zu ziehen scheint. Durch dieses im Bildaufbau singuläre Phänomen erhält das Werk eine unerwartete räumliche Tiefe und Dynamik.
Eine weitere in diesem Katalog präsente, aktuelle Entwicklungsfacette des Werks von Nora Ehrlich zeigt sich in konkreten Bezügen zu ihrem Grundmotiv der Landschaft, was sich in Titeln wie ,,Farbgegend mit orangem Himmel ", „ Himmel und Erde", „Himmel und Wasser" oder auch „ Farbbewegungen im Herbst" niederschlägt. Das Gemälde mit dem Titel ,,Farbgegend mit orangem Himmel" suggeriert eine Horizontlinie, die eine schmale, üppig farbig „blühende" Bodenfläche von einer drei Viertel des Gemäldes ausfüllenden Wolkenformation trennt, die sich dramatisch in halbrund angelegten Pinselschwüngen auftürmt und an eine romantisch überh.hte Abendrotstimmung erinnert, allerdings letztlich ohne zwingenden gegenständlichen Bezug. In den vergleichbaren Bildern wird dieser Bezug zur Realität auch wieder zurückgenommen, ohne in die völlige Abstraktion zurückzukehren.
 

Dass diese größere Realitätsnähe eine der Entwicklungsfacetten in Nora Ehrlichs Werk darstellt, beweisen schließlich ihre beiden „Himmel und Wasser" bezeichneten Werke aus 2004 und das sie begleitende auch im Katalog abgebildete Foto, das neben dem unmittelbaren eigenen Naturerlebnis als Anregung diente. Es bleibt also für die Zukunft offen, ob das Werk Nora Ehrlichs zu größerer Realitätsnähe findet, oder ob im weiteren Sinne Farbgefüge und Farbgegenden ihr Thema bleiben. Die Künstlerin selber äußert sich dahingehend, dass sie sich eine stärkere Annäherung an die Realität als in den „ Himmel und Wasser" bezeichneten Gemälden nicht vorstellen kann. Ihr Impetus ist vielmehr die abstrakte, opulente, prächtige Farblandschaft im Sinne des klassischen Tafelbildes.

Maria Engels

Die seltene Preisgabe des Lichts

Das Blau zeigt sich verhalten, vorsichtig, eher zögernd, dann auch stark und in eindeutiger Wirkung.
Das Blau schimmert, es verhüllt sich eher, als dass es sich offenbart. Es zeigt sich und entzieht sich. Hinter einer dichten, vielfältigen Farbenwelt schwebt die Himmelsfarbe und leuchtet durch sie hindurch. schenkt dem Rot und Gelb, dem Schwarz und den wechselnden Zwischentönen ihre Konsistenz und Intensität. Das lichte Blau zeigt sich behutsam, es ist. als könne es sich im plötzlichen Wirbel der Farben für kurze Augenblicke oder für immer verbergen. Das Bild lebt von diesem kostbar gesetzten Blau. In seiner sparsamen Präsenz meldet es sein verborgenes Dasein an hinter den wirbelnden Farben, gewährt ihnen eine Tiefe, die sie ins Unendliche zieht. Im sparsamen Eintrag des Blau gewährt sich das Licht, bietet sich dar, lässt keine Selbstverständlichkeit aufkommen. Die Himmelsfarbe bleibt in zitternder Schwebe.

Die seltene Preisgabe des Lichtes hat Nora Ehrlich dieses Bild benannt, das zwischen 2005 und 2009 entstanden ist. Titel sind sicher für das Verständnis eines Bildes nicht entscheidend und für den Zugang zu den Kunstwerken keineswegs immer hilfreich. manchmal sogar irreführend. Selten aber begegnet man einer solch feinfühligen sprachlichen Annäherung an das Farbgeschehen eines Bildes. Von einem Farbgeschehen kann tatsächlich die Rede sein. Die Farben sind in lebendigem Fluss und erzählen in völliger Abstraktion von einer Wirklichkeit, die nur so und nicht anders gezeigt werden kann. So auch die seltene Preisgabe des Lichtes, die der ganzen Ausstellung Nora Ehrlichs im Maternushaus den Titel gibt. Die Bilder der Künstlerin geben Gefühle und Stimmungen preis in den Schwingungen und Bewegungen der Farben. Ihr Element ist das Licht. Der Himmel und die Jahreszeiten, ihre wechselnden Stimmungen und Farbwirkungen faszinieren Nora Ehrlich, regen sie an zu ihren malerischen Kompositionen. Das Licht durchwirkt die Malerei und schenkt ihr eine betörende, poetische Präsenz.
Es ist diese poetische Kraft, die einen erinnern lässt an das Journal des Gerard Manley Hopkins und seinen täglich notierten Wetter- und Himmelsbeschreibungen, so - in der Übersetzung von Peter Waterhouse- unter dem 2. Juli 1866: „Einige Schauer, schön zwischendurch. Jene moosigen Wolken Schleppe hat ihr Gesetz eher in Spiralen, Wellzungen und es ist beträchtlich wahrnehmbar. Bernstein-Rosa und Blaugrün auf den Fäden nahe der Sonne ... am Morgen blasse durchsichtige entballende weiß-rosa Wolke in Blau getränkt und bald schwindend."

Die Bilder Nora Ehrlichs haben jene seltene Strahlkraft, wie sie zu finden ist in barocken Kirchengewölben, wenn diese in völliger Abstraktion Himmelslandschaften entfalten. Der Betrachter kann sich der Wirkung dieser Malerei kaum entziehen. Er darf sich einlassen auf eine Begegnung mit Farbe und Licht, die nicht mehr in Begriffe überführt werden kann. Dem künstlerischen Ausdruck kann nichts Besseres gelingen, als eine eigene, unvertretbare Wirklichkeit zu schaffen. Nora Ehrlich gelingt es.

Prälat Josef Sauerborn  
 

Zur Malerei

Wenn Cezanne sagte: “Man muß nach der Natur realisieren„ dann suche ich heute, losgelöst vom Bild der Natur, den Geist der Natur in der Farbe.

Die in sich differenzierte, in verschiedenen Ebenen gemalte Farbe muß nach harmonischen Gesetzen auf die Leinwand gebracht werden. Die Harmonie dieser Gesetze und Gesetzmäßigkeiten muss ich aus der Beobachtung der Natur gewinnen. Die Übertragung auf die Leinwand ohne das Bild der Natur verlangt auch äußerste Konzentration in der Organisation einer farbigen Differenziertheit, die eine mir eigene Logik der Farbe zeigt.

Wie findet man diese Logik?
Ich muß versuchen, mich ehrlich nach der Farbe zu orientieren, eine Schichtung von Farbwerten, die die Farbe ohne Allüre zur Erscheinung bringt. Auch dabei muß ich mich immer wieder nach der Natur richten, sie zeigt mir, wie die Farbe zusammengestellt werden kann, eine Farbe verlangt die andere, dann wieder die Mischung zwischen beiden- alles zum Beispiel auf dem Gefieder von Vögeln wunderbar dargestellt.
Die Interaktion zwischen den Farbwerten muß nach Rhythmus, humaner Harmonie, Bescheidenheit und Natur - Gefühl organisiert werden. Man muß die Gesamtaura, die Gesamtwirkung des Bildes immer vor Augen haben, jeder Pinselstrich muss daraufhin, auf dieses Ganze gerichtet sein. Die Vorstellung davon ist natürlich noch nicht genau festgelegt, beim Malen folgt man einer Richtung, die man im konzentrierten Arbeiten zum Bild konkretisiert.

Den Grad der Konzentration kann man bei „abstrakten „Bildern ganz gut ablesen, wenn man sich mit farbigen Differenzierungen , Tonwerten und zeichnerischen Bewegungen beschäftigt. Vibration der farbigen Flächen im Bild - schwebende und feste Partien - Rhythmus der farbigen Werte - Farbe, die in ihrer Erscheinung vibriert, wie in der Natur (zum Beispiel Luftperspektive ) das ist zur Zeit die Ausrichtung meiner Malerei.

Nora Ehrlich 2007-2016